Hanes H. Henseleit

Das Unvermeidliche als natürlicher Vorgang

Fragt man, wie und wo er zur Malerei gekommen sei, dann zieht ein verlegenes Lächeln über seine mehr grob als »geistig« erscheinenden Züge. Er überlegt ein paar Sekunden lang, und gerade dieses Nachdenken enthüllt mehr von seinem Wesen, als eine noch so umfassende Vita es je vermag. Die hohe Sensibilität, die Art, über sich und sein Leben nachzugrübeln, lässt die Frage zu, wie dieser Künstler es vermochte, in einer Person die Vielfalt menschlicher Existenz wie selbstverständlich zu verkörpern. Gelernter Handwerker, hat Karl Fettweis ein junges Leben lang körperlich hart gearbeitet. Oft waren es zwei, drei Berufe, die, gleichzeitig ausgeübt, ihm selten Zeit ließen, Träumen und Wünschen nachzuhängen.

Da war seine frühe Liebe zu Bildern. Wo immer er sie bei seiner Tätigkeit als Facharbeiter in den Wohnungen seiner Auftraggeber entdeckte, stellte er Vergleiche an mit Werken von Künstlern, in die er sich auf Ausstellungen in Galerien und Museen oft stundenlang vertieft hatte. Er lernte früh zu unterscheiden zwischen »schönen« Bildern und dem Erlebnis schöpferischer Kunst und ihrer Phänomene.

Und dann begann er selbst zu malen. Unprätentiös, doch mit jenem hohen Grad handwerklicher Naturbegabung, der ihn schon immer ausgezeichnet hatte. In einem Kreis lernbegieriger Laienmaler stieß Fettweis auf den über Schleswig-Holstein hinaus bekannten Maler und Kunstpädagogen Carl Lambertz, der den Kunstbeflissenen bei ihren Malversuchen gelegentlich zur Seite stand. Wenig später wurde Karl Fettweis sein Schüler, gewiss ein sehr gelehriger. Die ersten Erfolge ließen dennoch auf sich warten.
Noch war der Einflug seines Lehrers zu bestimmend. Respekt vor dem Können und Wissen des Meisters verschlug dem Adepten vorerst noch die eigene (Formen-)Sprache.

Die Bekanntschaft mit dem Kieler Zeichner Dago Kleemann mag dann dazu beigetragen haben, dass Fettweis quasi von heute auf morgen zu der Erkenntnis kam, dass sich Originalität nicht durch Imitation ertrotzen lässt. Die bildimmanente Verkrampfung begann sich zu lösen. Jetzt setzte künstlerische Fantasie Kräfte frei, die zu visuellen Verdichtungen des Wesentlichen, zur Durchdringung der Wirklichkeit führen sollten. In der Werkübersicht der Jahre 1975-80 ist Karl Rickers in seinem Vorwort zum Kern
vorgedrungen, wenn er (im Hinblick auf den ehemaligen Betonbauer Fettweis) schreibt: »Man liegt nicht so ganz daneben, wenn man sagt, die Malerei des Karl Fettweis sei aus dem Beton entwickelt worden, jenem Baustoff also, der dem Versuch widersteht, Leben aus dem Material zu destillieren; Leben im übertragenen Sinne: als Reflex jeden irgendwie von Menschenhand betriebenen Bauens«. Und Rickers fährt fort: »Der neue Baustoff ist von so spröder Natur, dass man es als hoffnungslos ansehen mag, daraus Motive zu holen. Dennoch, es gibt einen Maler, der dies immer wieder unternimmt: Karl Fettweis«. In
diesem Zusammenhang heute von Entwicklung zu reden, hieße, die Aufmerksamkeit von den künstlerischen und gesellschaftlichen Äußerungen abzulenken, die dem Schaffen dieses Malers den Stempel aufdrücken. Zeigte sein Werk, rückwärts betrachtet, Phasen gewisser Monotonie, Perioden, da ihm das Lineare wichtiger schien als das Malerische, so ist mit der Distanz zu jenen Bildern auch der Sinn für den Einbruch der Realität in die Kunst gewachsen. Was Fettweis nun malt, gemahnt an das Vergängliche, an
das Einwirken unberechenbarer Kräfte. Hat er nicht selbst das Haus mit aufbauen helfen, das nun vor ihm verfällt?! Als wachsamer Augenzeuge solchen Zerfalls setzt er seine Vorstellung von dieser in apokalyptischen Dimensionen begriffenen Natur ins Bild. Die Zerstörungswut unserer Zeit ist seinen Betonwänden und Mauern wie ein Menetekel eingegraben.

Gewiss, es gibt auch scheinbar zweckfreie Bilder in seinem undogmatischen Oeuvre, Stilleben zum Beispiel, so man menschenleere Landschaften und Architekturen im eigentlichen Sinne als solche bezeichnen wollte. Eine Welt voller Melancholie, die um die Vergänglichkeit alles Lebens in und auf eben dieser Welt weiß, das lässt sich nicht ins Unverbindliche hineinmalen. Wer von solchen scheinbar »harmlosen«
Bildern Beschönigendes erwartet, hat gewiss an die falsche Tür geklopft.

Malen sei für ihn Stimmungssache, sagt Fettweis. Ein Wort, das zu weiteren Mißverständnissen Anlag geben könnte. Wollte man ihm diese Aussage unreflektiert abnehmen, dürfte man einen Nachweis nicht etwa in seinem Werk suchen. Diese so nachdrücklich betonte Gemütsverfassung ist eher auf die Imponderabilien eines Tagesablaufs abgestimmt als auf die Einflüsse, die man in seinen Bildern zu entdecken glaubt. Es sind dies eher Anregungen, die ihm etwa aus der Vedutenkühle eines Canaletto, aus den perspektivischen Unterstreichungen Piranesis oder, um ein Beispiel
neuerer Zeit zu nennen, aus den strukturellen und tektonischen Gesetzmäßigkeiten eines Wotruba zufließen. Dass die Landschaftseindrücke bei Fettweis immer stärker zu einer brüchigen Architektur neigen, ist ein Bekenntnis seiner Weltanschauung oder, besser, seiner Weltschau, die ästhetische Effekte nicht zulässt. Da bröckeln Mauerfragmente in einer trostlosen Stadtlandschaft, da scheint es keine bewohnte, keine belebte Gegend mehr zu geben. Meditationsbilder sind es dennoch nicht. Was sich da
— ohne direkte Schockwirkung — zeigt, ist nicht mehr und nicht weniger als ein drohender Report über sterbende Städte. Wenn Fettweis mit Nachdruck betont, dass Grau seine Lieblingsfarbe sei, dann sollte man das in diesem Zusammenhang als zwangsläufig betrachten, zumal bei ihm die Formerfindung ohnehin meist stärker ist als die Farbgebung.
Was hier, in diesem Katalog, vorliegt, ist Teil der Arbeit eines halben Jahrzehnts. Es markiert ein wichtiges Kapitel unserer zeitgenössischen Kunst analog Mitscherlichs Schlagwort »von der Unwirtlichkeit der Städte«, die als Sinnbild einer inhumanen Welt uns auf Schritt und Tritt begegnet.
Das Unvermeidliche als natürlicher Vorgang;
— das zu erspüren und auf die Leinwand zu bannen, sieht Karl Fettweis als seine immer wieder neu zu lösende Aufgabe an.

Hanes H. Henseleit