Karl Rickers

Man liegt nicht so ganz daneben, wenn man sagt, die Malerei des Karl Fettweis
sei aus dem Beton entwickelt worden; jenem Baustoff also, der dem Versuch
widersteht, Leben aus dem Material zu destillieren; Leben im übertragenen
Sinne: als Reflex jeden irgendwie von Menschenhand betriebenen Bauens. Der
Ziegelstein fügt sich dem Bedürfnis, auch im Bauwerk die Struktur des Hand-
werklichen widerzuspiegeln; der gezimmerte Bau, aus dem organischen Stoff
Holz, tut es ohnehin und ohne Umwege des Denkens. Beton aber egalisiert das
reflektierende Sehen in einem Maße, dass Geist und Sinne zu verstummen
beginnen.
Dies festzustellen bedeutet selbstverständlich keine Ablehnung oder Abwertung
des neueren Materials. Beton ist ungefragt und unbestritten der Baustoff der
Gegenwart. Eine andere Sache ist freilich, wie die bildende Kunst sich damit
auseinandersetzt. Gut und schön, man muss ja nicht Betonbauten als Motiv wählen,
wenn man Maler ist. Aber wenn man es nun tut, wie geht man an Motive dieser
Art heran? Etwa wie Spitzweg, der die Bauten des Biedermeier so unterhaltsam
als farb- und formenreiche Kulisse seiner freundlichen Szenerien benutzte?
Unmöglich, zu denken, man könne mit Betonwänden so umgehen wie Spitzweg mit
Ziegel und Verputz und blumengeschmückten Fensterrahmen. Das ergibt kein
schlüssiges Bild, es hat nicht einmal eine Bildmöglichkeit. Der neue Baustoff ist
von so spröder Natur, dass man es als hoffnungslos ansehen mag, daraus Motive
zu holen. Dennoch, es gibt einen Maler, der dies immer wieder unternimmt:
Karl Fettweis.
Dass er in seinen großformatigen Gemälden Betonbauten darstellt, hat besondere
Gründe. Er war nämlich bis vor etwa drei Jahren Betonbauer und weiß also mit
diesem Material handwerklich umzugehen. Es trieb ihn jedoch zur Malerei, vom
Handwerk weg zur Kunst. Eigentlich hätte es nahegelegen, nun auch bei der
Motivsuche vom Beton Abschied zu nehmen, aber da ereignete sich das
Seltsame, dass er sich just als Maler mit diesem Baustoff auseinandersetzte. Er wollte
sich also nun gerade nicht von seinem Ursprung entfernen, setzte vielmehr nach
Feierabend das Handwerk des Betonierens mit anderen, nämlich künstlerischen,
Mitteln fort, indem er Bilder malte, die nichts als Betonbauten und Baugerüste
zeigen. Es war, als ließe ihn dieser Baustoff nicht mehr los, als sei er sein
Schicksal, auch im Geistigen. Immer, auch in Nacht und Traum, standen ihm
diese Betonwände vor Augen, zwanghaft und nicht verdrängbar.

Vielleicht war Malen für ihn zunächst nicht mehr als eine Beschwörung, als ein
Versuch, sich auf diesem Wege von dem Zwang zu lösen. Dann aber entdeckte
er allmählich, Zug um Zug, dass die Gesetze des Malens sich gegenüber den
Gesetzen des Bauhandwerks immer mehr behaupteten. Er entdeckte, dass ein
Gemälde komponiert sein will. Er begriff, dass Farbe eine Skala von unendlicher
zum Beispiel — ein absolutes Weiß oder Variabilität bedeutet und dass
es — Grau einer im Bild dargestellten Betonfassade gar nicht gibt.
Weiß ist nicht gleich weiß, grau nicht gleich grau. So geriet er in die Versuchungen der Farbe und noch mehr der vielfachen Möglichkeiten von Komposition des Bildwerkes. So
hat er, vielleicht unversehens, vielleicht auch in bewusster Entwicklung, seine
Gegenposition zum Beton gewonnen. Was sich heute in seiner Malerei zeigt, ist
jedenfalls eine selbständige geistige Haltung, die es ihm ermöglicht, sich den
schwierigen Motivkreis, den er sich erwählt hat, gefügig zu machen.
Es war für ihn kein einfacher Weg. Er holte sich Rat und Anleitung fürs Technische
der Kunst im Unterricht bei Malern. So begriff er das Handwerkliche dieses
Metiers, das hier ebenso Bedingung ist wie in seinem früheren Beruf. Nun konnte
er auch endlich seine Phantasie freier spielen lassen, die ihm nie gesehene,
Überwirkliche Motivreihen anbot, sodass die Betonfassaden nicht mehr stumm
blieben, sondern beredt wurden.
Zunächst erweiterte er seine Szenerie durch Ausbeutung perspektivischer
Elemente, die auf eine Horizontlinie verwiesen und dem Bild räumliche Tiefe
vermittelten, fügte auch Rot-Weiß-Signalements hinzu, die gegenständlich etwa auf
Absperrungen von Bauzonen oder auf Messlatten verwiesen. Später gab es auch
Einfügungen ironischen Inhalts, die ohne Umschweife und Einschränkung er-
kennen lassen sollten, dass Beton nicht gerade ein Element der Wohnlichkeit ist.
In den neueren Werken schließlich lässt er „sein” Material ins Phantastische
wachsen. Beton beginnt zu wuchern, das heißt: es breitet seine kubische
Geometrie ins Irreguläre aus, den Bauzweckgedanken überschreitend. Das erlaubt dem
Maler dann auch, aus dem Beton Glaswandarchitektur hervorschießen zu
lassen, als zweite Hierarchie innerhalb seines Motivrahmens ein optisches
Nebenregiment zu errichten. Daraus entsteht in einer Übersteigerung der
Starrheit des Bildganzen das neue Element lebloser Reflexe der Glaswände, die
nichts auflösen, sondern das Abweisende multiplizieren. So eröffnen sich für Karl
Fettweis neue Möglichkeiten der Darstellung, die er auszuschöpfen beginnt seit
jenen Wochen, die er in diesem Sommer des Jahres 1980 in der Florentiner Villa
Romana arbeitend verbringen konnte.

Es scheint, als fördere ein Aufenthalt dieser Art den künstlerischen
Entwicklungsprozess beträchtlich. Auf das Erlebnis der Industriehorizonte in der nord-
italienischen Landschaft mag auch die Kultivierung neuer Beziehungen zwischen
dargestelltem Bauwerk im Vordergrund und den jegliche Landschaft hart und
definitiv abschließenden Horizontlinien zurückzuführen sein.
Es ist schwer bestimmbar, an welchem Punkt dieser Entwicklung die Erstarrtheit
und Härte dieser Art Malerei bei Fettweis gewissermaßen aus dem Gleis
gesprungen ist. Es könnte sein, dass sich eine Kontraposition in jenen
Ölgemälden zu entwickeln begann, die plötzlich, unvorhergesehen jedenfalls,
Biologisches sichtbar werden lassen, Bewuchs etwa, von undefinierbarer Observanz,
Pflanzen jedenfalls, die eigentlich auch nicht mehr nur vegetativ sind, sondern
amorphe Wucherungen, die sich an die Fundamente seiner Bauwerksdarstellungen heranmachen. Man spürt Zersetzung des scheinbar Festgefügten.
Sollte hier der Ansatz für die immer zahlreicher werdenden kleinen Gouachen
und Pastelle liegen, so könnte man wohl von einer Art Saltomortale sprechen,
hinüber zu anderen Ufern der Kunst. Diese Bildchen nämlich, wenig mehr als
dezimetergroß im Quadrat, sind mit den größeren Gemälden kaum in
Zusammenhang zu bringen — es sei denn durch ebenjenen amorphen Bewuchs, der in den
Kleinwerken zum Hauptgegenstand und darüber hinaus noch mit den Farben
einer gefährlich schillernden Atmosphäre angereichert wird.
Fettweis muss sich der Konsequenzen dieser Veränderung des Motivbereichs
bewusst sein, denn in den kleinformatigen Bildern verändert sich auch das
Gegenständliche von Grund auf. Die Bauwerke erscheinen wie von organischen Sub-
stanzen und von Atmosphäre eingehüllt, gelegentlich in einem scheinbar gefühls-
bezogenen Duktus, und die Farben sind so angelegt, als hätte er das Wagnis
einer Adaption des Romantischen unternommen.
Weiß man, wohin dies gehen mag? Es berührt jedenfalls Existentielles, wenn
Fettweis sich an die Grenzen des technisierten Daseins heranarbeitet.
Die Kombination von Beton mit Bewuchs und Atmosphärischem erheitert zwar nicht, aber
sie vermag Wichtigeres zu bewirken: sie verweist auf Konflikte, die uns alle
angehen und die uns, indem wir sie austragen, zu beleben vermögen.

Kiel, im September 1980
Karl Rickers